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In der Fremde

Musik.

Von heim'scher Erde
Fortgetrieben,
Gott weiß, wie ich das tragen mag, -
Vom Vaterherde
Nichts geblieben
Als Heimweh-Tränen Nacht und Tag.
Rings andre Herzen, andre Sitten,
Ein Himmel selbst, der anders blaut,
Gemüter taub für meine Bitten,
Und schmerzlich stets das Ohr zerschnitten
Von fremder Sprache rauhem Laut!

Da naht erfroren
Meiner Pforte
Ein Handwerksbursche, krank und bleich,
Und, - schwelget Ohren! -
Deutsche Worte,
Und jedes Wort ein Königreich!
Ja, deutsche Worte, welch Erschrecken:
Du Lieber, Guter, nur herein,
Mein eig'ner Mantel soll dich decken,
Auf meinen Pfühl sollst du dich strecken,
Und wie ein Gott sollst du mir sein!

Nur sprich, nur rede,
Laß mich lauschen,
Laß schlürfen jedes Wörtchen mich,
Laß mich für jede
Silbe tauschen
Mein ganzes Herz, nur sprich und sprich!
Und du nicht mir, ich muß dir danken,
Du gabst mir Nahrung, Dach und Huld,
Gabst Stab und Stütze einem Schwanken,
Gabst Heilung einem Todeskranken,
Und lebenslang bleibt diese Schuld!

Abendläuten.

Wie durch den Rüsternhag
Dein Ton, o Glocke, zieht,
Zu sterben geht der Tag,
Du bist sein Schwanenlied.
Abgründe Sterne tauchen
Allüberall herauf,
Verzückte Blumen hauchen,
Und Duftaltäre rauchen
Wie Abels Opfer auf.

Und durch mein Herz und Ohr
Klingt alte Seligkeit,
Es sinkt der dunkle Flor
Von längst begrab'ner Zeit:
Da gegen mich als Kläger
Nur stand der Blumen Schar,
Die ich verfolgt als Jäger,
Da ich ein Kronenträger
Von erst fünf Lenzen war;

Da noch die Träne mir
Kein Schmerz im Auge war,
Nein eine helle Zier,
Wie Tau auf Knospen klar;
Da gelbes Haar im vollen
Gelocke mich umwallt,
Und Segensworte quollen
In Tönen, nun verschollen,
Von Lippen, du nun kalt;

Da einer Stimme weich,
Wie Rohrgeflüster weht,
Ich bang und fromm zugleich
Nachsprach mein erst Gebet!
Und bebst du durch die Rüstern
O Glocke, voll und weich:
Dann höre ich im Düstern
Die alte Stimme flüstern
Das alte Himmelreich!

Und wieder möcht' ich ihr
Nachsprechen fromm und bang,
Doch nicht gelingt es mir,
Ich finde nicht den Klang:
Denn, ach, nicht nur vergangen
Die Stimme und verweht,
Dran einst, in heil'gem Bangen
Nachstammelnd, ich gehangen, -
Verweht ist und vergangen
Auch Segen und Gebet.

Vergangen und verweht,
Und rieselnd Herzensblut,
Das ist jetzt mein Gebet
Und Tränen mein Tribut.
Du aber mögest klingen,
Wenn sie mich abgehetzt
Und mit gelähmten Schwingen
Zur einst'gen Ruhe bringen,
O Glocke, mild wie jetzt!

Silvesternacht.

Nun fahre wohl, du altes Jahr,
In Frieden geh zur ew'gen Ruh',
Ich stehe stumm an deiner Bahr'
Und drücke dir die Augen zu.
Stumm und allein, und diese Nacht,
Die sonst dem Taumel war geweiht,
Durchzecht mit Freunden und durchlacht,
Gehört diesmal der Einsamkeit.

Und doch durchspukt es meinen Sinn,
Wie ein Gespenst von Fröhlichkeit, -
Doch ach, wo sind die Freunde hin.
Und, ach, wohin die früh're Zeit?!
Steigst du empor, versunk'ne Pracht?
Wie Frühlingswipfel rauscht es traut,
Und schluchzt aus Rosenpurpurnacht,
Wie eine kranke Sprosser-Braut.

O Wald, von Lenz- und Morgenhauch
So voll durchweht, ich kenne dich,
Und jenes Lied, ich kenn' es auch,
O nur zu gut, es schluchzt um mich.
Versunk'ne Pracht der Jugendzeit,
Dein Engel klagt umsonst um mich,
Und weint' er in noch heiß'rem Leid, -
Doch heißer noch bewein' ich dich!

Denn als, ein stürmender Genoß,
Ich deine Schwelle übersprang,
Da fiel in ein demant'nes Schloß
Dein goldnes Tor mit höhn'schem Klang;
Und mitleidlos wahrt seit der Frist
Ein Flammen-Cherub dieses Tor:
Dahinter Alles - Lächeln ist,
Und Alles - Träne davor!

Winternachtstraum im Norden.

Die tiefste Nacht. Ein Traumbild gaukelte
Durch meinen Schlaf in reizendster Gestalt.
Im Süden war's, ein Duftmeer jeder Wald,
Die Flut Kristall, drauf Licht sich schaukelte,
Der Mythe dunkle Wipfel grüßten mich,
Und alles, was im Leben ich verlor,
Die Mutter selbst, die Hehre, trat hervor,
Und längst beweinte Lippen küßten mich.

Still lächelnd schritt sie ihren Pfad herbei,
Und Palmen neigten vor dem Blick den Stamm,
Darin ein All von reinster Liebe schwamm:
Ich sank ans Herz, das zu beleidigen,
Ich rastlos war, schiegt' ich mich wieder an,
Und das, gleich rastlos, doch stets eins nur sann,
Den wilden Liebling zu verteidigen.

Fast sprang die Brust mir, die sich weitete
Vor solcher Segensfülle, groß und schwer,
D'rob sich ein Himmel, schimmernd wie ein Meer
Von Perlen und Saphiren breitete,
Indes um mich herum, Schnee-Gliedern gleich,
Carraras Stein entstieg in Säulenbracht
Und Bilder-Pomp der dunkeln Laubesnacht,
Durchspielt von Lüften, Liebesliedern gleich.

Nicht jauchzt' ich auf. Der Laut versagte mir,
Stumm preß' den Mund ich auf den Boden nur,
Der heut noch träg vom Fuß Homers die Spur,
Drauf Licht und Schönheit einst auch tagte mir.
Wie stummer Rausch stieg's zum Gehirne mir,
An einen Lorbeer sank ich selig matt -
Dem fiel vom tiefsten Zweig das kleinste Blatt,
Und streifte, - war's ein Kuß? - die Stirne mir.

Da fuhr ich auf. Ein heis'rer Rabe rief,
Aufsteigend in verschlaf'nem trägen Flug,
Sein schwarzer Fittich meine Scheiben schlug, -
Ob's ihn zu einem frischen Grabe rief?
Reifblumen grüßten weiß vom Fenster mich,
Steif standen sie in schnee'gem Lailach da
Und grüßten, von den Palmen, die ich sah
Im Traum nur erst, wie die Gespenster mich.

Und draußen lag, von Spinnwebglanz umrahmt
Der Fluß, bedeckt von grauen Frostes Schild,
Und über meinem Bett der Mutter Bild,
Von dunklem Flor und Efeukranz umrahmt!
Und höhnisch sah herein, ein Eisgesicht,
Der Wintermond. Mein Auge aber schwoll,
Ich starrte auf, das Herz zum Brechen voll,
Dann preßt' ins Kissen ich mein heiß Gesicht.

Vergoß ich Tränen? Ach, im Norden ist
Auch dieser Quell erstarrt, die Rinde Eis,
Nur in der Tiefe lebt's, da lodert Rinde Eis,
Die Sehnsucht, die durch nichts zu morden ist.
Sie sit es, die mein Erbteil worden ist:
Nach Süden, Süden schaut sie Seufzer-schwer, -
Wie aber flammt sie erst im Norden, der
Nicht einmal mehr der Heimat-Norden ist?!

"Du liebest mich..."
(Nachruf an einen Lebenden.)

Du liebtest mich! Ich hab' es wohl gewußt,
In Blick, in Wort, in Tat konnt' ich es lesen, -
Und doch, wie selig-stolz ich d'rob gewesen,
Stumm barg den Stolz ich in der tiefsten Brust.

Es zog ein Sturm ob meinem Haupte hin,
Dein war die Hand, die seinen Grimm beschworen,
Und doch hab' ich in ihm auch dich verloren:
Auch dich, - wie jetzt ich kalt für alles bin.

Ja, kalt! So geht's mit jedes Wetters Braus,
Den reichsten Stamm bricht er zu ärmsten Splittern.
Kalt, eisig kalt - nicht weiß ich mehr, was Zittern,
Doch auch mit dem, was Lieben, ist es aus.

Ein Grabstein ward mein lebenzuckend Herz,
Drauf, wer es kann, soll deine Rune lesen,
Und daß ihr Klang mir mehr Musik gewesen,
Als Memnons Ruf und als Dodonas Erz.

Nicht zürne drum, und habe je verkannt
Ich dein Verschwenderherz, du darfst vergeben,
Erwägst du, daß dir einer war ergeben,
Der, vor dir, nichts von Hörigkeit gekannt.

Und mehr noch, meine Jugend ist dahin,
Und wie dort ihre letzten Blätter stieben,
Wehn sie mir zu: nie werd' ich wieder lieben,
Seit ich sogar für dich erkaltet bin!

"Und ich war fern..."
(Nachruf an den Toten.)

Und du warst krank, und ich war fern,
Nicht kniete ich an deinem Lager,
Nacht hüllte deines Geistes Stern,
Dein Mund war heiß, die Wange hager,
Und ich, - wie faß ich's nur? - war fern,

Nicht war zur Seit' ich dir, dich zu ermuten,
Zu kühlen deiner Stirne Fiebergluten!

Du rangst im Tod, und ich war fern,
Hin schwärmte ich auf Rausches Wegen, -
Wie faß ich's nur? - wie wollt' ich gern
Mein Haupt jetzt auf dein Kissen legen
Und, ob ich dir auch noch so fern,

Durch Wüsten fliehn mit nackten, wunden Füßen,
Den bittern Scheidekelch dir zu versüßen.

Du starbst, - und deinem Sterben fern
War, der dir Lebens-Lehn gelobte,
Du meiner Jugend Stolz und Kern,
Den ich so hundertfach erprobte!
Und ich, - wie faß ich's? - war zu fern,

Stumm hängend über dir, mit starren Augen
In mein's dein letztes Leben aufzusaugen!

Sie senkten dich ins Grab, mir fern,
Nicht barg ich dich ins schmale Bette,
Nicht lauscht' ich, als im Haus des Herrn
Für dich erklang die Toten-Mette.
Du fromme Seel', ich war ja fern,

Nicht fiel von mir mit letzter Gruß-Geberde
Auf dich herab die erste Handvoll Erde.

Und du starbst sanft, ob ich auch fern,
Dein letztes Wort hat mich verlangt,
Nacht hüllte deines Geistes Stern,
Dein Herz hat doch nach mir gebangt.
Und ich, - wie faß ich's nur? - war fern!

Sei's denn, sei's denn - fortan an deinem Grabe
Der kleinste Platz sei meine größte Habe!

Petöfi.

Alexander Petöfi (Petöfi Sandor), geboren am 1. Januar 1823, der größte ungarische Lyriker und einer der größten und echtesten Lyriker der Weltliteratur überhaupt, fiel, nachdem er seinem Volk bereits mit sechsundzwanzig Jahren vier Bände wahrhaft nationaler Lieder und sonstiger Dichtungen gegeben, als Freiheitsheld in dem großen Unabhängigkeitskampf der Ungarn gegen Österreich von 1848/49. Wie es heißt in der Schlacht von Schaßburg am 31. Juli 1849. Wenigstens wurde es hier zum letzten Mal gesehen, so daß nach langen Zweifeln und vergeblichen Nachforschungen endlich als Gewißheit angenommen wurde, daß er dort gefallen und mit vielen andern Opfern des blutigen Tages, ohne erkannt zu werden, in einem gemeinsamen Grabe bestattet worden sein.

Der Ungarn Gott [1] in Tagen schwer
Rief auf zum blut'gen Bacchanale,
Als König schritt der Tod einher
Und leerte aus des Zornes Schale.
Da sank manch Eichenstamm in Splitter,
Und mehr als das, es brach der Hauch
Der wutentketteten Gewitter
Die süßeste der Rosen auch:
Petöfi Sandor, weint, o weinet,
Petöfi Sandor, der vereinet

Das Los Leonidas Tyrtäens Lose,
Petöfi, Ungarns wilde Heiderose!

Ist einer wert, daß um ihn wein'
Ein Mannesaug', hier mag's geschehen,
Und lichter Frauenaugen Schein
Mag ganz in heißer Flut vergehen!
Und dennoch, nein! Nein, keine Träne
Dem Heldenschwan, der so erliegt, -
Denn wer beweinte die Phaläne,
Die jauchzend in die Flamme fliegt?
Nein, tretet schweigend an sein Grab
Und senkt den Doppelkranz herab

Von Eich- und Loorbeerlaub zum dunkeln Moose,
Darunter schlummert Ungarns Heiderose!

Ach, an sein Grab?! Zwar ist bekannt,
Wo die dreihundert Sparter fielen,
Doch die Magyaren heilig Land
Umfaßt zu viele Thermopylen.
Wer weist der gramerfüllten Welt,
Wo ein fiel von tausend Helden?
Doch Er war mehr als nur ein Held,
Drum sollt' es doch die Sage melden.
Von hundert Schlachtgefilden eins:
Das ist sein Grab, - so gut, wie keins,

Und ohne Stein- und Erzapotheose
Blieb Ungarns hingemähte Heiderose.

Indes, was tut's? Was soll ein Sarg
Von Marmor-Glast und kalten Erzen
Dem, den der Völker wärmstes barg
In ein lebendig Grab von Herzen,
Draus, ein Messias des Gesanges,
Er stündlich immer neu ersteht,
Ein freier König freisten Klanges
Von hunderttausend Lippen weht?
Wer singt ihn nicht? Geh nur das Land
Entlang der blonden Tissa Strand,

Und selbst im Busch der Nachtigal Gekose,
Es schluchzt um Ungarns tote Heiderose!

Doch du, wo du auch sei'st, die ihn
Bedeckt, sei mir gesegnet, Scholle,
Und dem, des Pflüge dich durchzieh'n,
Gib Ernten, gold'ne, übervolle.
Und mehr noch Lieder seid gesegnet,
Des einz'gen Dichters Testament,
Und alle Herzen, drein ihr regnet,
Und alle Lippen, drauf ihr brennt:
Auf in die Welt, und mit Gewalt
Erobert sie, ihr, die ihr bald

Wie Flöten weich, bald grimm wie Schwert-Getose
Entquollen Ungarns wilder Heiderose!

Du aber jauchz', entzückte Welt,
Dem Stern in seiner dunkeln Wolke!
In seinem kleinsten Liede schwellt
Das Herz von seinem ganzen Volke:
Er kettete mit ehrnem Faden
Sich an sein Volk, der Güter Gut,
Dem, Dichter er von allen Gnaden,
Gesang er gab, und mehr, sein Blut.
Erkenn' ihn erst, dann, wie hier heut
Der Deutsche ihm die Krone beut,

Reicht auch der Brite, Welsche und Franzose
Den Lieder-Purpur Ungarns Heiderose!

Götterschweigen.

Ein König, der sich selten nur,
Dann aber blendend zeigt dem Volke,
Das jubelnd Saum ihm küßt und Spur,
So tritt das Glück aus dunkler Wolke.
Ich hatte längst darauf verzichtet,
An fremden Busennoch zu hangen, -
Da, schön, als ob ich dich erdichtet,
Und schöner noch kommst du gegangen.

Zwar kreuzt mein Pfad den deinen nur,
Und dennoch jauchzt mein ganz Gemüt dir,
Als wäre ich der Dioskur,
Des Zwillingsblitz den Helm umsprüht dir.
Und du, als kämst du, Licht-Juwele
Aus nächt'gem Brustschacht mir zu schürfen,
Und aus dem Gral-Kelch meiner Seele
Mein innerst Herzensblut zu schlürfen.

Zwar schweig' ich, Frevel würd' es sein,
Erweckt' ich Golems, welche schliefen,
Und hübe auf den dunkeln Stein,
Von noch viel dunklern Seelentiefen.
Ja, spräng' mein Mund, der längst vereiste,
Wie Tantalus müßt' ich erscheinen,
Der seinen Götter-Gastfreund speiste
Mit seines eig'nen Sohns Gebeinen.

Drum laß mich redent nicht entweih'n
Dies späte Bacchanal der Seelen, -
Mein Götter-Gastfreund sollst du sein,
Doch Pelops Glieder sollen fehlen.
Und du, ich weiß es, nicht nach Worten,
Du nimmst mein Maß nach Herzensschlägen,
Nicht brichst du frevelnd Grabespforten,
Des Toten Obolus zu wägen.

Auf meine Wunden leg' die Hand, -
Hei, sieh, wie sie sich brechend regen!
Die Welt betrüge der Verband,
Du sollst die Finger darein legen.
Die Lappen fort! Nun fluten Gluten, -
O wolle nicht die Quelle stopfen:
Laß schweigen, schweigen mich, doch bluten,
Verbluten bis zum letzten Tropfen!

Schlaflose Nacht.

Zwölf Uhr! Wie brech' ich Schlummer-Mördern,
Gedanken euch, des Stachels Macht?
Laßt endlich ab, laßt ab, zu fördern
Aus dem geheimsten Seelenschacht!
Wer rief euch? Meines Mundes Hauch
Beschwor euch frevelnd nicht herzu, -
Ihr wißt, es trat zum Flammenstrauch
Ein Moses selber ohne Schuh.

Die Uhr schlägt eins. An meinem Fenster
Verglimmt der flieh'nde Sichelmond.
Ein Uhr! Nun huschen selbst Gespenster
In ihre Klausen, wie gewohnt.
Der Schatten, der ums Hochgericht
Zur Buße tanzt in jeder Nacht,
Selbst ihm fehlt jetzt der Schlummer nicht, -
Mein Auge nur, mein Auge wacht.

Wie glüht mein Leib, und glutdurchdrungen
Ist auch der Pfühl. Da schlägt es zwei, -
O Turmesglocken, Eisenzangen,
Ihr schneidet mir das Mark entzwei.
Wieviel ihr Schlafzeit schon verschlangt,
Mit ehrnem Hohne schreit ihr's aus,
Und ob's ein Gott am Kreuz verlangt,
Ihr gebet kein Atom heraus.

Und wieder tönt ihr, wie auf Klippen
Dreimal ein scheiternd Fahrzeug stößt,
Und scheucht den Schlaf mit Folt'rer-Lippen,
Des erster Hauch mich schon umflößt.
Drei Uhr, drei Uhr! Du schreckst mich auf,
Erbarmungslos verhaßtes Erz, -
Und alphaft kriecht's an mir herauf
Und saugt sich an mein sträubend Herz:

"Warum will mich der Schlaf nicht grüßen?
Klebt denn an meinen Händen Blut?
Wie, - oder soll ich etwa büßen,
Hilf Himmel, was ein andrer tut?
Gedanke, der mein Hirn verbrennt,
Hinweg! Und dennoch, wär' es wohl?
Und warum nicht? Obwohl getrennt,
Ist doppelt doch ein jeder Pol.

Wie nun, wenn so auch ohne Fehle,
Wie Pol dem Pol, obzwar getrennt,
Der Seele eine Zwillingsseele
Entstünde im Geburtsmoment:
Die, wenn sie zuckt in wildem Kampf,
Auch gleich die andre zucken läßt,
Wie eines jeden Poles Krampf
Alsbald den Antipol erfäßt?!

Wenn so, was meines Busens Tiefe
Durchgärt mit Elend oder Lust,
Notwendig wach ein Echo riefe
In einer zweiten Menschenbrust?!
Und mir, - ihr Geister steht mir bei -
Oft auf dem Seelen-Herde flammt
Glut und Gefühl, das mein nicht sei,
Das glänzlich fremder Brust entstammt?

Und doch, - so ist es! Sonst, was wär' es,
Daß dir, wenn Lied und Lust dich hält,
So oft wie eine gift'ge Zähr' es
Urplötzlich in den Becher fällt?
Was scheucht dich auf vom vollen Tisch,
Wo Wein und Wonne rings umher?
Noch eben warst du froh und frisch, -
Und jetzt, die Brust zum Brechen schwer?!

Das ist der Augenblick, dann siedet
Und tobt's in jener Seele wohl,
An die ein Gott dich fest geschmiedet
Mit ehrnem Band wie Pol an Pol.
Dann preßt du wohl die Hand aufs Herz
Und zwingst den Mund zu lautem Wort,
Doch unnatürlich bleibt dein Scherz,
Tief innen aber blutet's fort.

Und so auch jetzt! Wer will entscheiden,
In welchen Martern eben ringt
Die Zwillingsseele, deren Leiden
Mit-marternd jetzt auch mich durchdringt?
Zuckt sie in Reu' um grause Tat?
Ward Schmach auf ihre Stirn geprägt?
Schleicht sie auf des Verbrechens Pfad?
Ist's Mord, der meinen Schlaf erschlägt?"

Also mein Alp. Die Seele preßt' er,
Die ihn zu scheuchen kraftlos blieb.
Das Grauen zog sich an mir fester
Ein tausendmundiger Polyp.
Tief drückt' und tiefer in den Pfühl
Die Stirn sich unter seiner Last,
Und: "Seele, die für mein Gefühl",
Haucht' ich, "du erst den Schlüssel hast:

"Wo, Zwillingsseele, magst du weilen?
Und trätest plötzlich du vor mich,
Würd' ich dir stehn, würd' ich enteilen,
Verwünscht' ich, oder liebt' ich dich?
Dich lieben, - nein! Zu jeder Zeit
Wär' dir mein Händedruck verwehrt,
Und meinen Schemel rückt' ich weit
Von deinem Tisch und deinem Herd!

So haßt' ich dich? Mir will es scheinen,
Nicht liebte ich, noch haßt' ich dich,
Mir ist es nur, ich würde weinen,
Beweinen beide, dich und mich!"
Da - zupft's am Pfühl mit leiser Hand, -
Barmherzigkeit, - ich zuck' empor
Und rücke schaudernd an die Wand.
Und - Viere schlägt's, es fällt der Flor!

Der mit der Nacht als Sieger focht,
Er ist's, er ist's, der junge Tag!
Er war's, der an den Pfühl gepocht,
Drauf ich mit nasser Stirne lag.
Schon schwirren Lerchen aus dem Forste
Zu einem Jubelchor gereiht,
Und auch der Aar schwingt sich vom Horste
In seiner Königs-Einsamkeit.

Es steigt empor auf Rosen-Tromben
Die Sonne, Priesterin und Held,
Und breitet Strahlen Hekatomben
Auf den Altar der jungen Welt.
Ich aber jauchz', als trüg's zum Dom
Von Gold und Azur aufwärts mich,
In Nichts zerstäubt das Nachtphantom:
Und ich bins ich, - nur wieder Ich!!


[1] "A Magyar Isten", der "Magyarische Gott" der Ungarn.
Text: Udo Brachvogel - Lizenz: Public Domain