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Kolosseum

Was stehst du da, du stolzer Bau,
Und siehst mich traurig an
Aus deinen Brauen altergrau,
Was hat man dir gethan?

Sag an, was dir wohl fehlen mag,
Und sei es noch so viel,
Liegt das Gebrechen erst am Tag,
So setzt man wohl ein Ziel.

Doch ja! an deinen Wänden hier,
Hat Raubflucht dich gepackt,
Bis an die festen Rippen schier
Steht deine Seite nackt:

Allein die Rippen halten noch
Und schließen ihren Ring,
Und trotz dem Räuber stehst du doch,
Indes er selbst verging.

Auch deines Schmuckes, deiner Zier
Wardst frevelnd du beraubt,
Und kahl und dürftig stehst du hier,
Mit unbedecktem Haupt.

Ein andrer seufz' ob solchem Druck,
Dir sei die Klage fern,
Die Größe ist des Großen Schmuck,
Nur kleines putzt sich gern. -

Dies Zeichen hier am Vorderteil -
Was bebst und schütterst du?
Das Zeichen ist's von Ruh und Heil,
Wie nähm' dir's Heil und Ruh?

Wiß, alles Irdische ist schwach
Und alle Kraft ist hohl,
Hilft nicht das Überird'sche nach,
So steht sich's nimmer wohl.

Allein du meinst, dir sei nicht bang,
Du würdest selber sehn,
Du seist gestanden Säkul' lang
Und würdest ferner stehn?

Nun wohl, so wirf es denn hindann
Und trotze bis zum Tod!
Wer von sich selber stehen kann,
Hat keiner Stütze not.
Text: Franz Seraphicus Grillparzer - Lizenz: Public Domain