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Warschau

So bist du denn gefallen, Stadt der Ehre,
Des Heldensinnes letzter Zufluchtsort!
Wo Männerfreiheit nicht mit Satz und Lehre,
Mit Schwertern focht, statt mit dem hohlen Wort.

Bist du gefallen? und die Schar der Zungen,
Zu Meinungsstreit allein noch reg' und frisch,
Bringt plappernd dir die letzten Huldigungen
Und setzt sich drauf an des Ministers Tisch.

Was glaubtest du auch, Stadt der edlen Thoren,
Die Welt, sie nehme teil an deiner wahren Not?
Als neuerer Luculli Gladiatoren,
Genoß man euren Sieg, genießt man euern Tod.

Als jüngst ein Volk, die Kohle sonst'ger Feuer,
Halb katzenhaft nach seinem Herrn gekrallt,
Da griff ein König selbst in seine Leier,
Und ein Despot rief ihrem Dränger: Halt!

Da sah man eine Welt in Harnisch gehen,
So Ost als West nahm teil am edlen Streit;
Doch damals galt's Ruinen, Propyläen,
Erinn'rungen erinnert schöner Zeit,

Man hatte schulweis den Homer gelesen
Und hieß gebildet, weil man da geweint;
Der Polen Not war leiblich wahres Wesen,
Die kein Äon mit Abendrot bescheint.

Auch mochte dort man hilfreich sich erweisen,
Der eigne Vorteil blieb geschützt, bewahrt;
Kaum schnitt ans eigne Fleisch das Rettungseisen,
Da ließ mit eins der Mut von seiner Art. -

O Frankreich, Frankreich! konntest du verkennen
Den Platz, auf den ein Gott dich hingestellt?
Bist stolz, der Freiheit Bräut'gam dich zu nennen,
Und zeugst mit ihr nicht Kinder für die Welt?

O, schau! viel klüger sind sie, die dich hassen,
Ihr Werk scheint ihnen halb und nur von heut,
So lang ein Raum noch auf der Welt gelassen,
Wo nicht ein Herr ob einem Knecht gebeut.

Du nennst dich deines Zwingherrn Überwinder,
Den fremde Macht bis heute nie verließ?
Auf Polens Flur erschlägt man Frankreichs Kinder,
In Warschaus Angeln klirrt die Pforte von Paris.

Und du, dem man den Namen ging zu holen
Ins Land des Großen, kleiner Kasimir!
Als dich der Vater nannte, dacht' er: Polen!
Dein Name bricht mit Polen über dir.

Wär's Unbill gleich, dich unbegabt zu schelten,
Ist klug gleich manches, was dein Klügeln schuf;
Auf großen Bahnen kann nur Großes gelten,
Klein ist, wer kleiner ist als sein Beruf.

Ihr Briten, auf! es gilt Emyrneser Trauben,
Oporto-Wein, Brabanter Linnen, auf!
Frankreich will euern Freund Don Miguel berauben,
Laßt zehn, laßt zwanzig Orlogschiffen Lauf!

Ihr Brutusse mit Pfefferdüt' und Elle,
Gerecht nur gegen euch, und das nach filz'ger Norm,
Schreit nicht das Volk an eurer eignen Schwelle?
Es ruft nach Brot, und ihr gebt ihm Reform.

Wär' Warschau hingebaut am Meeresstrande,
Und wüchse Zimt, wo jetzt nur grüne Saat,
Ihr fühltet mächt'gere Verwandtschaftsbande,
Und Polen stünde frei, ein Volk, ein Staat.

Doch weil ihr, gleich dem Geiz'gen im Gedichte,
Einäugig gern, wenn euer Feind nur blind,
Ließt, daß kein Frank' den blut'gen Hader schlichte,
Ihr Polens Staub hinwehen in den Wind.

Und wolltet ihr das Land, vom Rhein durchflossen,
Heimsuchen nicht mit Krieg, der immer hart,
Warum mit euren Grenz- und Ruhmsgenossen,
Nach Stambul hin nicht lenken eure Fahrt?

Dort konntet einem alten Freund ihr nützen,
Und jeder Streich traf nur den grimmen Zar,
Doch wechselt ihr das Herz mit euren Sitzen,
Der Wollsack eurer Freiheit Hochaltar. -

Die aber in des Weltteils Mitte wohnen,
Sind mild, ein Freiheit träumendes Geschlecht!
Sie auch als Bettlerpfennig nehmend von den Thronen,
Doch, wo ein Herr, ist auch der Deutsche Knecht.

Die einen sind zu schwach, die andern - stille!
Von diesen spreche nimmermehr ein Lied!
Zum Guten fehlt nicht Macht, es fehlt der Wille,
Das Auge fehlt, das rein nach außen sieht.

Die Freiheit hassen sie, doch nicht alleine,
Nicht mehr als All, was stammt vom ew'gen Geist,
Und atmend lebt im hellen Sonnenscheine,
Was wärmt, erhebt, was denkt und unterweist.

Dort tönt kein Wort durch späherwache Lüfte,
Scheu kriecht das Denken in sich selbst zurück.
Die Brust vernieten krummgebog'ne Stiffte,
Und Gentzlich stumpf gilt dort für ganzes Glück.

Gleichwie in Dantes dunkeln Schauderorten
Die Inschrift lehrt, daß da kein Rücktritt sei,
Steh' inschriftweis an dieses Landes Pforten
Gemeinheit eingeprägt und Heuchelei.

Dem Throne nah sitzt dort ein Mann seit Jahren,
Die glatte Stirn im Venusdienst gebleicht,
Dem Einfäll' lustig durchs Gehirne fahren,
Die ihm ein andrer auf Systeme zeucht;

Und wenn der Zeitgeist durch die Macht der Schwere
Zur Erde sinkt, der strahlend er entflog,
So schwört der kleine Mann auf Wort und Ehre,
Sein Gaukeln sei's, das ihn hernieder zog.

Wer lieber sich von Ebenbürt'gen treten,
Als mahnen lassen will vom mindern Mann,
Wird fruchtlos zu der Menschheit Fest gebeten,
Er war entschuldigt, eh es noch begann. -

Dir aber, Preußen, laß mich donnernd sprechen,
Warum thust du nicht deiner Pflicht genug?
Kaum wächst ja Brot auf deinen sand'gen Flächen,
Der Geist allein dein Acker und dein Pflug.

Als dich der leider Einz'ge deine Fritze,
Der Zahl zum Trotz, hoch zu den Sternen trug,
Dacht' er dich stets auch an der Bildung Spitze,
Stoff gegen Stoff, zerbricht der schwäch're Krug.

Und war's dein Volk nicht, das dich rückerstritten,
Beim Haar gerissen von des Abgrunds Bord?
Warum nun zittern in des Volkes Mitten,
Das Dasein betteln von dem eis'gen Nord?

Lebst etwa du in der Erinn'rung Räumen,
Wie damals, als das Junkerheer zerschmolz?
Ein gleich Erwachen harret gleichen Träumen:
Ein Jena liegt, wo Dünkel steht und Stolz.

Umsonst! sie hören nicht, sind nicht zu retten,
Die Niederung vermählt sich gern dem Sumpf,
Barbar'sche Könige in goldnen Ketten,
Dünkt ihnen schön ein russischer Triumph.

Du aber Freiheit, die der laue Morgen
Hervorrief aus dem eisumschlossnen Grab,
Die Sonne hat von neuem sich verborgen,
Steig wieder nur zum kühlen Bett hinab.

Doch hüte dich, zu fest, zu lange zu schlafen,
Hat ja kein Winter ewig noch gethront,
Und wenn im Mai erst laue Strahlen trafen,
Kommt Juli auch, der holde Erntemond.
Text: Franz Seraphicus Grillparzer - Lizenz: Public Domain