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Gewitter im Mai

In Blüten schwamm das Frühlingsland,
Es wogte weiß in schwüler Ruh;
Der dunkle feuchte Himmel band
Mir schwer die feuchten Augen zu.

Voll Reu' und Leid hatt' ich den Mai
Gegrüßt und seinen bunten Flor;
Nun zog er mir im Schlaf vorbei,
Verträumt von dem vergrämten Tor!

Da war ein Donnerschlag geschehn,
Ein einziger; den Berg entlang
Hört' ich Erwachender vergehn
Erschrocken seinen letzten Klang!

"Steh auf! steh auf! entraffe dich
Der trägen tatenlosen Reu'!"
Durch Tal und Herz ein Schauer strich,
Das Leben blühte frisch und neu.
Text: Gottfried Keller - Lizenz: Public Domain