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Begräbniß einer alten Bettlerin

Vier Männer dort, im schwarzen Kleid,
Die tragen auf der Bahre,
Lastträger, ohne Lust und Leid,
Des Todes kalte Ware.

Sie eilen mit dem toten Leib
Hinaus zum Ort der Ruhe.
Schlaf' wohl, du armes Bettelweib,
In deiner morschen Truhe!

Dir folgt kein Mensch zum Glockenklang
Mit weinenden Gebärden;
Die Not nur blieb dir treu, so lang'
Von dir noch was auf Erden.

Dir gab der Menschen schnöder Geiz
Ein Leichentuch, zerfetzet,
Hat ein verstümmelt Christuskreuz
Dir auf den Sarg gesetzet.

Doch kränkt dich nicht der bittre Spott
In deinem tiefen Frieden,
Daß man selbst einen schlechtern Gott
Dir auf den Weg beschieden.

Einst blühtest du im Jugendglanz,
Vom ganzen Dorf gepriesen,
Die schönste Maid am Erntetanz,
Dort unten auf der Wiesen.

Folgt keiner dir der Bursche nach,
Die dort mit dir gesprungen,
Wo längst die muntre Fidel brach,
Die dort so hell geklungen?
Text: Nikolaus Lenau - Lizenz: Public Domain