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Der trübe Wanderer

Am Strand des Lebens irr' ich, starre düster
Ins Todesmeer, umhüllt von Nebelflor;
Und immer wird der Strand des Lebens wüster,
Und höher schlägt die Flut an ihm empor.
O strömt, ihr Thränen, strömt! - Im Weiterirren
Seh' ich die längst verlornen Minnestunden,
Ein neckend Schattenvolk, vorüberschwirren,
Und neuer Schmerz durchglüht die alten Wunden.
Die Asche meiner Hoffnungen, die Kränze
Geliebter Toten flattern mir vorüber,
Gerissen in des Sturmes wilde Tänze,
Und immer wird's in meiner Seele trüber. -
Das Christuskreuz, vor dem in schönen Tagen
Ein Kind ich, selig betend, oft gekniet,
Es hängt hinab vom Strande nun, zerschlagen,
Darüberhin die Todeswelle zieht. -
Seltsame Stimmen mein' ich nun zu hören:
Bald kommt's, ein wirres Plaudern, meinem Lauschen
Meerüber her, bald tönt's in leisen Chören,
Dann wieder schweigt's, und nur die Wellen rauschen. -
Ein ernster Freund, mein einziges Geleite,
Weist stumm hinunter ein die dunkle Flut;
Stets enger drängt er sich an meine Seite:
Umarme mich, du stiller Todesmut!
Text: Nikolaus Lenau - Lizenz: Public Domain