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Dritter Gesang

Nahe an den Auen, die mit beständigen Blumen gekrönt sind, wo die Themse mit Stolz ihre aufsteigenden Thürme siehet, stehet ein Gebäude von majestätischer Bauart, welches von dem benachbarten Hampton seinen Namen führet. Hier prophezeyen oft Britanniens Staatsmänner den Fall auswärtiger Tyrannen, und einheimischer Nymphen. Hier, große Anna! der drey Reiche gehorchen, nimmst du zuweilen einen Rath ein - - und zuweilen den Thee.

Hierher flüchten die Helden, und die Nymphen, um eine Zeitlang das Vergügen eines Hofes zu schmecken. In mannichfaltigen Gesprächen bringen sie hier die erbaulichen Stunden zu, wer den letzten Ball gab, oder den letzten Besuch ablegte. Einer redet von dem Ruhme der brittischen Königin, und ein anderer beschreibt einen allerliebsten indianischen Sonnenschirm; ein dritter erkläret Bewegungen, Minen, und Augen. Bey jedem Worte stirbt ein guter Name. Schnupftaback, oder Fächeln füllet jede Pause des Geschwätzes, nebst Singen, Lachen, Liebäugeln und desgleichen.

Indeß stieg die Sonne vom Mittage herab, und schoß ihren brennenden Strahl schräg. Die hungrigen Richter unterschreiben in Eile den Todesspruch, und Verbrecher hängen, damit die Geschworenen speisen können. Der Kaufmann gehet von der Börse im Frieden zurück, und die langen Arbeiten des Nachttisches hören auf. [17] Jetzo brennet Belinde, die der Durst nach Ruhm locket, mit zweyen verwegenen Rittern einen Kampf zu wagen, die beyde im Lomberspiel ihr Schicksal entscheiden wollten; und ihre Brust schwillet schon von noch zukünftigen Siegen. Alsobald bereiten sich die drey Heere, ein Treffen zu liefern; jedes Heer bestehet aus der heiligen Zahl Neune. Kaum strecket sie ihre Hand aus, so fähret schon ihre luftige Wache herab, und setzet sich auf jede wichtige Charte. Zuerst setzte sich Ariel auf einen Matador, darauf nahm ein jeder, nach seinem Range, seinen Platz ein; denn Sylphen, die sich noch immer ihrer vorigen Abkunft erinnern, sehen noch eben so sehr auf den Rang, als damals, da sie Frauenzimmer waren.

Siehe, vier Könige in ehrwürdiger Majestät, mit grauen Bärten, und einem Knebelbarte, und vier schöne Königinnen, die eine Blume in der Hand tragen, das ausdrückliche Sinnbild ihrer sanften Gewalt, vier Knechte mit aufgestürzten Böcken, eine rüstige Schaar, mit Hüten auf den Köpfen, und Streitäxten in der Hand, und halb bemahlte Haufen, ein schimmerndes Gefolge, ziehen auf dem Felde von Sammet zum Treffen einher.

Die kluge Nymphe mustert sorgfältig ihre Macht. Pik sey Trumpf! sagte sie, und es war Trumpf.

Nun [18] bringen sich ihre schwarzen Matadore zum Krieg hervor, an Gestalt den Heerführern der schwarzen Mohren gleich. Zuerst führte Spadille, ein unüberwindlicher Feldherr, zwey gefangene Trümpfe davon, und machte den Tisch leer. Zwey andere zwang die Manille zum weichen, und ging als Siegerin von dem grünen Felde. Ihr folgte Basta; aber ihr Schicksal war unglücklicher; sie gewann nur einen Trumpf und eine gemeine Charte. Nach dieser erscheinet in seinem breiten Säbel ein Heerführer an Jahren, der graue Monarch der Pike, und setzet einen männlichen halb unbedeckten Fuß voraus, den übrigen Theil verbarg sein vielfärbiger Rock. Der rebellische Knecht, der es wagt, mit seinem Fürsten zu kämpfen, wird das gerechte Opfer seines königlichen Zorns. Selbst der mächtige Treffelknecht, der Könige und Königinnen zu Boden warf, und Armeen in den Gefechten der Buben niedermachte, unglücklicher Wechsel des Krieges! fällt nun ohne Beystand unter dem gemeinen Haufen, durch den Seiger Pik.

So weit weichen beyde Armeen der Belinde. Jetzo neiget sich das Schicksal des Schlachtfeldes zu dem Baron. Seine kriegerische Amazone, die königliche Mitgenosse der Krone der Pike, greift Belindens Heer an. Der schwarze Tyrann der Treffel starb, als ihr erstes Opfer, trotz seiner hochmüthigen Mine, trotz seines barbarischen Stolzes. Was nützen ihm die königlichen Binde um sein Haupt, und seine gigantischen Glieder, die er voll Hochmuth plump ausstreckt? Was nützt es, daß er lang hinter sich seinen prächtigen Mantel schleppen läßt, und von allen Königen allein den Reichsapfel trägt?

Jetzo giesset der Baron seine Carreaus aus. Der verbrämte König, der nur sein halbes Gesicht zeigt, und seine glänzende Königin, mit andern Mächten verbunden, finden einen leichten Sieg, Treffel, Carreaus, Herzen liegen, in wilder Unordnung im vermischten Haufen auf die grüne Ebene gestreuet. Wie von Asiens Völkern, und den schwarzen Söhnen von Afrika, ein geschlagenes Heer zerstreuet die Flucht nimmt, so fliehen in gleicher Verwirrung verschiedene Nationen von verschiedener Kleidung, und von verschiedener Farbe durch einander; die verdrengten aus einander gejagten Geschwader fallen Haufen auf Haufen; und ein Schicksal wirft sie alle zu Boden.

Carreaus Knecht versuchet seine listigen Künste, und schlägt, o schimpflicher Zufall! die Königin der Herzen. Bey diesem Unglück verließ das Blut die jungfräulichen Wangen der Belinde, und eine Todesblässe breitete sich über ihr ganzes Gesicht aus. Sie siehet das herannahende Unglück, und zittert an dem Rande des Untergangs, und der Codille. Und nun (wie es oft in einem zerrütteten Staate geschiehet) kömmt das ganze Schicksal auf einen feinen Kunstgriff an. Ein Aß der Herzen tritt hervor: der König lauerte ungesehen in ihrer Hand, und betrauerte seine gefangene Königin: voller Hitze springet er zur Rache hervor, und fällt, wie ein Donner, auf das zu Boden geschlagene Aß. Die frohlockende Nymphe erfüllet mit einem Siegesgeschrey den Himmel; die Mauern, die Wälder, und di elangen Canäle antworten.

O gedankenlose Sterbliche! [19] immer blind gegen das Schicksal, zu schnell muthlos, und zu schnell aufgeblasen! Bald wird diese Ehre hinweggerissen, und auf ewig dieser siegreiche Tag verflucht werden!

Denn siehe der Tisch wird mit Geschirren und Schälchen gekrönet. Die Bohnen knattern, und die Mühle drehet sich um. Auf schimmernden Altären von Japan richtet man die silberne Lampe auf; die feurigen Spiritus flammen: aus silbernen Pfeifen gleiten die angenehmen Getränke, und chinesischer Thon empfängt die rauchende Fluth. Zugleich vergnüget die Gesellschaft ihren Geruch und Geschmack, und öftere Schälchen verlängern die milde Erfrischung. So gleich tanzte um die Schöne ihr luftiges Heer; einige kühlten, so wie sie trank, das rauchende Getränk, einige breiten über ihren Schooß, zitternd und besorgt für den reichen Rokat, ihr wachsames Gefieder aus. Der Kaffee (welcher Staatsleute weise macht, daß sie mit halb geschlossenen Augen alles einsehen) sandte in seinem Dampfe neue Kriegeslist in das Gehirn des Barons, die glänzende Locke zu gewinnen. Ach! halt ein, kühner Jüngling, besinne dich, ehe es zu spät ist, fürchte die gerechten Götter, und denke an das Schicksal der Scylla! [20] In einen Vogel verwandelt, und in die Luft gesandt, das selbst herum zu flattern, büsset sie theuer für die Beleidigung der Haare des Nisus!

Aber wenn Sterbliche sich vornehmen, Unglück anzustiften, wie leicht finden sie Werkzeuge zu schaden? In eben diesem Augenblick zog Clarisse mit einem Anstande, der in Versuchung setzte, ein zweyschneidiges Gewehr aus der glänzenden Scheide. So kommen Prinzeßinnen in Romanen ihren Ritter zur Hülfe, reichen ihm den Speer, und bewafnen ihn zum Kampfe. Er nimmt mit Ehrfurcht das Geschenk an, und stecket das kleine Gewehr auf die Spitzen seiner Finger. Dieses öffnet er hinter dem Halse der Belinde, als sie eben ihr Haupt über dem düftenden Rauch neigte. Augenblicklich erscheinen tausend Geister bey der Locke; tausend Flügel fachen, einer um den andern, das Haar zurück, und dreymal züpften sie an den Demant in ihren Ohren. Dreymal sahe sie sich um, und dreymal kam der Feind zurück. In demselben Augenblicke erforschte Ariel die geheime Winkel der Seele der Schönen. Als er auf dem Blumenstrauße auf ihre Brust herabgeneigt, die aufsteigenden Gedanken ihrer Seele behorchte, sahe er plötzlich, aller ihrer Verstellung ungeachtet, in ihrem Herzen einen
irdischen Liebhaber verborgen liegen. Erstaunt, und verwirret bemerkt er das Ende seiner Macht, wich dem Schicksale, und zog sich mit einem Seufzer zurück.

Der Baron breitete nun die schimmernde Schere weit aus einander, um die Locke einzuschließen, und nun schließt er sie, sie abzuschneiden. Kurz vorher, ehe er das tödliche Gewehr zusammenschloß, stürzte sich ein unglücklicher Sylphe zu eifrig dazwischen; das Schicksal schloß die Scheere, und schnitt den Sylphen in zwey Stücke; (aber luftige Substanzen verbinden sich leicht wieder zusammen [21] die zusammenschlagende Schärfen trennen auf ewig, auf ewig, die geweihte Locke von dem Haare!

Da flammte der zornige Blitz aus ihren Augen, und ein Angstgeschrey zerriß die erschrockene Luft. Kein lauteres Geschrey fährt zu dem mitleidenden Himmel, wenn Ehemänner, oder wenn Schooshünde den Geist ausblasen; oder wenn kostbares chinesisches Geschirr, von der Höhe gefallen, in schimmerndem Staube und bunten Stücken da lieget!

Kränze des Triumphes müssen jetzo meine Schläfe umgürten, (rief der Sieger) der glorreiche Preis ist mein! So lange Fische in Strömen, oder Vögel in der Luft, oder brittische Schönen in einer Kutsche mit Sechsen vergnügt sind; so lange man die [22] Atalantis lesen, oder so lange das kleine Küssen das Bette des Frauenzimmers zieret; so lange man dam Sonntage Besuche ablegen wird, wenn zahlreiche Wachslichter in glänzender Ordnung flammen; so lange Nymphen Gastmahle annehmen, oder verliebte Zusammenkünfte bestimmen, so lange wird meine Ehre, mein Namen, und mein Ruhm leben! [23] Was die Zeit verschonen würde, empfängt vom Stahle seinen Untergang, und Dankmäler unterwerfen sich, wie die Menschen, dem Schicksale! Stahl konnte die Werke der Götter zerstören, und die herrschenden Thürme von Troja in den Staub legen; Stahl konnte die Werke des sterblichen Stolzes zu Grunde richten, und Triumphbogen niederhauen. [24] Was ist es denn Wunder, schöne Nymphe! daß deine Haare die überwindende Stärke des unwiderstehbaren Stahles fühlen müssen?


[17] Und die langen Arbeiten des Nachttisches hören auf ec. Alles, was folget, das ganze Lomberspiel wurde erst nach der ersten Ausgabe hinzugesetzt.
[18] Nun drengen sich ec. ec. Die ganze Idee dieser Beschreibung des Lomberspiels, ist aus der Beschreibung des Schachspiels von Vida genommen; aus seinem Gedichte, das den Titel führet: Scachia Ludus.
[19] Nescia mens hominum fati fortisque futurae,
Et fervare modum, rebus fublata fecundis!
Turno tempus erit, magno cum optaverit eruptum
Intactum Pallantia; et cum spolia ista diemque
Oderit. - - - -
[20] Ovid. Metam, VIII
[21] Aber luftige Substanzen ec. S. den Milton im VI. B. wo Satan von dem Engel Michael von einander gehauen wird.
[22] So lange man die Atalantis ec. Ein bekanntes Buch, welches um diese Zeit von einem Frauenzimmer geschrieben wurde; voll Ärgernissen und anstößigen Gesinnungen, und in einer ausgelassenen Schreibart verfaßt, welche dem liederlichen Geschmack des erhabnen Pöbels völlig gemäß war.
[23] Dum juga montis aper, fluvios dum piseis amabit, Semper honos, nomenque tuum, laudesque manebunt.
Virg.
[24] Ille quoque eversu mons est, "e.
Quid faeiant erines, cum ferro talia cedant?
Catull, de com. Berenicos
Text: Alexander Pope - Lizenz: Public Domain