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www.solars.de → Kunst und Literatur → Märchen → Das Sommermärchen oder des Maultiers Zaum

2. Teil

Herr Gawin eilt von dar,
wiewohl's schon Abend war,
besteigt das Maultier ohne Zügel
und ist, indem die Jungfrauen gehn,
ihm hoch vom Soller nachzusehn,
schon über alle Hügel.

Der Mond schien hell
zu seiner Reise;
sein Maul, nach Feenweise,
lief vogelschnell.
Der Löwenwald, das Schlangental
wird ohne Furcht passiert;
und wie der erste Morgenstrahl
die Welt illuminiert,
entdeckt das Schloß sich seinem Blicke,
das Schloß, der Strom und auch die Brücke
von glatt geschliffnem Stahl,
so schmal,
dass, wie ihr wißt, Herr Gries
(der doch sich Ritter schelten ließ)
vom Ansehn schon das kalte Fieber
bekam.

Herr Gawin war dem Zaudern gram.
Er denkt: "Wer sich den Teufel zu verschlucken
entschlossen hat, muß ihn nicht lang begucken.

Und wär's ein Pferdehaar,
nun frisch hinüber!
Wenn wir erst drüben sind, ist's Zeit genug,
zu sehn, wie's möglich war."

Das nennt ihr klug
gedacht,
nicht wahr? und denkt: ich hätte
es eben so gemacht.
In Eurem Kabinette,
da lass' ich's gelten, Herr!
doch an der Stätte,
da ging's wohl langsamer!
Genug,
Herr Gawin ritt hinüber -
Sprecht, wenn Ihr wollt: "Ihn trug
kein Maul hinüber;
so was zu tun durch Feengunst,
ist keine Kunst:"
und dennoch setz' ich zwanzig Mark
an einen Stüber,
auf eben diesem Maul
wärt Ihr zurück geblieben.
In solchen Fällen, meine Lieben,
macht nur der Glaube stark.
Selbst Mahomeds berühmtes Maul
ist ohne ihn nur ein gemeiner Gaul;
und Glauben, wo nur Glauben helfen kann,
den hat nicht Jedermann!

Herr Gawin also war nun drüben
und ritt getrost in vollem Lauf
bis an das Schloß hinan.
Auf einmal tat ein Tor sich auf,
und ihrer Sieben,
zu Pferd
und wohl bewehrt,
die sprengen ihn mit ihren Speeren an.
Mein Ritter stellt
sich stracks vor einen Baum
und ruft: "Ihr Herrn,
von Allem, was dies Schloß enthält,
verlang' ich nichts, nichts in der Welt,
als meins Maultiers Zaum."

"Der Zaum ist dein, sofern
du ihn von uns gewinnst," erwiedern
die Ritter ihm sogleich. -

Von euch
und allen euren Brüdern,
ruft Gawin; nur herbei,
zwei oder drei,
ja, alle sieben meinetwegen
gleich auf einmal!
Der Schafe Zahl
macht nie den Wolf verlegen.

Mit Hohngelächter
erwiedert ihm
der sieben Wächter
des Zaumes einer: "Glaubet mir,
Herr Isegrimm,
nehmt einen guten Rat:
kehrt ohne Zaum zurück
auf Eurem Tier'
und sprecht von Glück,
dass Ihr
mit Euren Ohren weggekommen
von solcher Tat!
Schon mancher arme Tropf,
der's unternommen,
ist ohne Kopf
zurück geschwommen."

Da, nimm
die Antwort! - schreit im Grimm
der Ritter, setzt sein Maul in Flug,
holt aus und spaltet
auf einen Zug
des Prahlers Kopf
bis an den Sattelknopf;
und, eh der Streich erkaltet,
fliegt hier ein Arm und dort ein Schopf,
und, auf mein Wort,
so fing in's Einem fort;

Köpf', Arm' und Bein'
und Schulterblätter fliegen,
bis alle Sieben kurz und klein
auf einem Häufchen liegen.

Wie nun nach solchem schweren Kampf
der Ritter sich die Stirne wischt
und sich erfrischt
mit einem Mundvoll Luft,
wird aus der Leichen blut'gem Duft'
ein dicker schwarzer Dampf,
und - was geschah?
Flugs stehn, mit ungeheuren Rachen
voll blauer Flammen, sieben Drachen
anstatt der sieben Ritter da.

Herr Gawin stutzt,
allein verliert darum
die Lust zur Sache nicht;
er haut und sticht
um sich herum
und trutzt
dem ganzen Höllenheer';
auch ist sein Maul
in diesem Strauß nicht faul,
sprengt mutig durch dies Feuermeer
und stößt und schlägt mit Kopf und Füßen.

Vergebens gießen
die Drachen Flut auf Flut
von Rauch und Glut;
ihr Feuer ist zum Glück nur kalt,
und bald
erstickt's in ihrem Blut';
in drei bis vier Sekunden
ist Alles rein verschwunden.

Was wehrt dem Ritter nun,
die Burg sich aufzutun?
Ein Wunderding,
wie ihr noch keins gesehen!
Die ganze Burg auf einmal fing
sich an zu drehen,
und so geschwind,
als drehte sie ein Wirbelwind.

Hinein zu kommen,
stand eine Pforte offen zwar;
doch, da sie so im Drehen war,
was mocht's dem Ritter frommen?
Sowie er sie erblickt,
ist sie entrückt.
Das Vorderhaupt sich zu zerschellen,
war hier Gefahr.

In solchen Fällen
ging Gawin nicht zu Rat
mit Fleisch und Blut.
Der Mann, der über
die Brücke ritt, hat Mut
für jede Tat.
Er stellt dem Schloß sich gegenüber,
und im Moment,
wie er die Pfort' erkennt,
sprengt er hinein.

Drin ist er und wird drinnen sein,
trotz allen Feen!
Das Zauberschloß hört auf zu drehen,
und Gawin schaut empor.
Da steht auf einem Elefanten
ein himmellanger Mohr
mit einer Keule vor ihm da,
fast dicker als der große Rah
des größten Schiffs - Man muß gestehen,
so ein Giganten-
gesicht
beim Eintritt' in ein Schloß zu sehen,
wünscht man sich eben nicht.

Dem Ritter galt's
gleich viel. Er grüßt den Enakssohn
und spricht
im sanften Ton:

"Was mich zu dieser Pfalz
zu reisen trieb, Herr Torwart, däucht
euch eine Kleinigkeit vielleicht:
ich komme gar nicht, große Beute
zu machen; langet mir
den Zaum von meinem Tier,
so sind wir gleich geschiedne Leute."

Wie? was? was willst du? - fährt
der Mohr ihn schnaubend an:
ein Kerlchen mit getünchten Wangen,
ein Ding von Marzipan,
kommt und begehrt,
ich soll den Zaum ihm langen?
Wann ward so was erhört?
Verlang die Welt von mir;
was mein daran ist, schenk' ich dir;
allein den Zaum, mein Kind,
verschenkt man hier
nicht so geschwind.

"So werd' ich mir ihn selber holen,
versetzt der Paladin
ich bin
bloß darum hier, Herr Zwerg;
und müßt' ich ihn
aus einem Berg
von glühnden Kohlen
mit meinen Fingern holen!

Vor deinem Weberbaum
fürcht' ich mich nicht.
Nur nicht viel Zauderns! Meinen Zaum,
und kein Gesicht!"

Das ist ein Andres - spricht
so höflich wie ein Hochzeitbitter
der Goliat:
wenn's die Bewandtnis hat,
Herr Ritter,
so muß er Euer sein,
das merk' ich schon.
Doch freilich ohn'
ein wenig Arm'- und Beine brechen
läuft's wohl nicht ab, mein Sohn!
Indessen
bemühn Sie sich herein!
Das Essen
wird angerichtet sein.
Nach Tafel ist's noch Zeit, davon
ein Wort zu sprechen.

Sie gehn hinein
und setzen sich in einem goldnen Saal
zum Mittagsmahl.
Der Wirt legt dienstbereit
von Allem vor, schenkt fleißig ein,

schwatzt lang und breit
und sucht nach Möglichkeit
mit plattem Scherz' und gutem Wein
den Gast vergnügt zu machen.
Allein
der bleibt bei Ja und Nein,
ißt mäßig, trinkt von einem Wein,
läßt seinen Wirt auf eigne Kosten lachen,
so viel als ihm behagt,
und kaum
ist abgetischt, so steht er auf und fragt:
Wo ist mein Zaum?

"Geduldet Euch,
versetzt der Schaumigrem mit schiefem Mund.
Nach Tafel gleich
zum Werk zu schreiten,
ist nicht gesund.
Was hat der Aufschub zu bedeuten?
Ihr seid hier gern gesehn:
die Kleinigkeit,
auf die Ihr so versessen seid,
die - wird Euch nicht entgehn."

Der Ritter steht ein wenig stier
und schweigt. - "Es ist ein Garten hier
am Schlosse, spricht der Mohr:
gehn wir spazieren!

Der Himmel ist mit einem Flor
von Duft bedeckt;
ins Gras gestreckt
läßt's da sich herrlich - digerieren."

Herr Gawin schlendert mit, und, seiner los
zu werden, wirft er bald
sich hin auf Mutter Erde Schoß
und tut, als schlief er ein.
Ein kleiner Wald
mit Schlangen-
Alleen war nicht weit,
da sangen
viel tausend Vögelein.
Die Luft war warm, und unterm Zischen
und Sumsen überall
im Gras' und aus den Büschen
und beim Unisono von einem Wasserfall,
der aus dem Hain
von ferne plätschert, schlief
er wirklich ein.

Die Sonne stand schon tief,
als er erwacht.
Sein Erstes war, er rief:
Wo ist mein Zaum?
Der Mohr, nicht weit davon im Grünen
gelagert, lacht.

Das nenn' ich, sprach er, einen Zaum!
Er ist Euch, glaub' ich, gar im Traum'
erschienen?

Indem ließ aus dem Gartensaal'
ein liebliches Konzert sich hören.
"Herr Ritter, Alles dies geschieht
bloß Euch zu Ehren!
Auf, wenn's Euch nicht zu viel bemüht,
und folgt mir in den Saal."

Dem Paladin bleibt keine Wahl,
als mitzugehn. Und wie die Musika
zu End' ist, steht schon wieder
das Abendessen da.
Man setzt sich nieder.
Herr Gawin, der den Goliat
und seinen dicken Witz
in allen Gliedern hat,
sitzt taub und stumm auf seinem Sitz',
und, weil er sich
nicht anders helfen kann,
so frißt
der gute Mann
vor langer Weile
ganz jämmerlich
und nagt an einer Hammelskeule,
bis nur der Knochen übrig ist.

Not war's, zu so viel Solidis
die Gurgel oft und stark zu netzen.
An unserm Wirt war mindestens dies
für was zu schätzen:
sein Wein
war alt und rein.

Nun (spricht Herr Gawin) dächt' ich doch,
es wäre Zeit,
den Zaum zum Nachtisch' aufzusetzen?

"Wenn Eure Herrlichkeit
nur noch
bis morgen sich gedulden mag!
(wird ihm zur Antwort) morgen
ist auch ein Tag;
und einem Mann, wie ich,
läßt (ohne mich
zu rühmen) sich's ganz sicher borgen."

Nicht ohne Pein
muß unser Ritter schon
sich zwingen,
die Nacht hier zuzubringen.
Man räumt das schönste Zimmer
vom Schloss' ihm ein.
Da glänzt in reichem Schimmer
ein Bette, wie ein Tron.

Herr Gawin schickt die Knaben,
die ihn geleitet haben,
und bleibt allein.
Flugs trippeln euch drei oder vier
Sylphiden
durch eine Seitentür
vom Saale
zu ihm herein,
an Anzug und Gestalt verschieden,
doch alle jung und frisch.
Die erste setzt in goldner Schale
den Schlaftrunk auf den Tisch;
die zweite hält ihm ein Lavor
von Silber und ein Handtuch vor;
drauf schürzen sich die andern beiden,
ihn auszukleiden.

Ins Ohr gesagt - die Dirnen waren
zum Malen schön,
von schwarzen Augen, gelben Haaren,
und Arm und Fuß so fein,
man kannt's aus Elfenbein
nicht schöner drehn.
Warum der Mohr sie schickte,
das leuchtet ein:
und nehmt dazu, dass sie
ein Nachtkleid schmückte,
wodurch man ohne Müh
bald dies bald das erblickte,

wonach man gerne schielt,
und dann
das große seidne Bette
im Hintergrund' - ihr fühlt,
was Alles dies bei manchem Ehrenmann
für Folgen hätte.

Doch Gawin war ein eigner Mann:
er sagte nichts; ließ sich, solang' es ihnen
gefällig war, mit großem Ernst bedienen
und öffnet drauf die Tür.
"Die Jungfern (spricht er) werden mir
zu meinem Zaum wohl nicht verhelfen können.
Die Hitze war heut scharf -
ich will die Ruh'
euch länger nicht mißgönnen.
Bon soir! - und, wenn ich bitten darf
die Türe zu!"

Als nun der Tag gekommen,
steht Gawin auf und wappnet sich.
Der Ries' erscheint; das Frühstück wird genommen,
- "Und nun, Herr Schloßvogt, lass' ich mich
nicht länger necken;
den Zaum, mit einem Wort',
und wieder fort!"

"Von Herzen gern',
(erwiedert ihm der schwarze Holofern)
nur muß ich Euch entdecken,
die Sache hängt an einer Kleinigkeit,
zu der
Ihr, wenn's beliebt, vorher
gehalten seid."

Was ist's? Heraus
damit! nur kurz und klar!

"Nichts, als - um einen Kopf
mich kürzer, als ich bin, zu machen.
Bei unser einem zwar
macht just ein Kopf
so viel nicht aus:
allein - (Ihr werdet meiner lachen)
wie jeder Potentat
so seine Grillen hat -
der Schopf, mein Herr, der Schopf,
der ginge mit,
und den, zu missen,
kann ich sogleich
ohn' einen Ritt
mit Euch
mich nicht entschließen."

Herr Schäker, (ruft voll Ungeduld
der Ritter) weil nun doch für meine Sündenschuld
mit einem Tier
wie du herum mich zu scharmützeln
mein Schicksal ist, hör' auf, mich zu bewitzeln,
und sieh dich für!

Der Heide schreit:
"Nun, wenn's denn gelten soll,
so nimm!" -

Es war ein Streich, so ungestüm,
dass, traf er voll,
den ganzen Streit
zu enden
kein zweiter nötig war.
Doch Gawin wußte sich aufs Haar
so schnell zu wenden,
dass ihm die Keule nur
ein wenig grob am Schulterblatt'
herunter fuhr;
und eh der Goliat
den Arm zurück zieht, faßt
mein Ritter kräftiglich mit beiden Händen
sein gutes Schwert und haut, wie einen Ast
vom Baum, die Hand zusammt der Keule
auf einen Hieb dem Pocher ab.

Das Untier flieht mit gräßlichem Geheule;
ihm wird für seinen Schädel bang',
und, ihn solang'
er kann, zu sparen,
versucht er's, wie vor Jahren
der Fluß
Achelous,
der (wie aus euerm Hederich
euch noch erinnerlich)
einst mit Alciden
um Dejanira rang.
Er hofft den Gegner zu ermüden,
indem der Streit
in tausndfalten
stets schrecklichen Gestalten
sich ohne Rast erneut.

Drei lange Morgenstunden kämpft
Herr Gawin so;
zwar immer Sieger,
doch nie des Sieges froh.
Denn, ist sein Feind als Einhorn oder Tiger
beinah gedämpft,
flugs steht er als Hyäne
schon wieder da
und blökt drei Reihen Zähne,
wie Büffon keine sah.

Bei Allem dem behielt
der Ritter Mut,
zielt immer seinem Feind nur nach dem Hut'
und zielt
zuletzt so gut,
dass, wie der Unhold eben
zum Greif sich log,
sein Kopf
zusammt dem Schopf'
auf dreißig Schritte flog.

Man hört den Grund von seinem Fall' erbeben,
als stürzt' ein Berg
in einen tiefen Schlund;
und wie Herr Gawin um sich sah,
weg waren Ries' und Greif, und ein Gezwerg
stand vor ihm da,
der bückte sich und sprach:
"Gott geb' Euch langes Leben,
Herr Ritter, folgt mir nach;
die Frau vom Schloß läßt Eure Gnaden
zur Tafel laden."

Dem Ritter rät nach solcher Motion
sein leerer Magen,
die Invitation
nicht auszuschlagen.

Er folgt dem Ganimed
in einen Saal,
wo schon ein köstlich Mahl
für Zwei gerüstet steht;
und eh' er's recht in Augenschein
genommen,
tritt eine schöne Frau herein,
macht ihren Knicks
und heißt den Herrn willkommen.

Mein Paladin, wiewohl er sonst so leicht
nicht Feuer fing, bleibt sprachlos vor ihr stehen;
ihm däucht
gleich ersten Blicks,
was Schönres hab' er nie gesehen.

Beschreiben läßt sich, wie ihr wißt,
kein Ding, das - unbeschreiblich ist;
drum sag ich nichts als - Alles, was er sah,
war hoch zu loben
und noch zum Überfluß
durch jede schlaue Kunst erhoben,
die sonst den Reiz ersetzen muß.
Die Dame stand so ganz wie eine Göttin da,
dass unser Mann vor lauter Glanz
nicht wußte,
wie ihm geschah,

und, bis er seine Anred fand,
wohl dreimal husten mußte.
Doch faßt er endlich sich, küßt eine Hand
so weich als Flaum
und weißer als der Schnee,
und spricht: Verzeiht mir, schöne Fee,
ich bitt' - in Untertänigkeit -
um meinen Zaum.

"Davon zu sprechen, hat's noch Zeit,
Versetzt die Frau. - Es ist nur fürs Vergessen,
erwiedert Gawin ihr.
Sie spricht: "Setzt Euch zu mir,
mein Herr, Ihr habt das Mittagessen
heut wohl verdient."

Für dieses Mal erkühnt
der Biedermann sich nicht,
noch stärker anzuhalten
doch legt er sein Gesicht
in weise Falten
und nimmt sich vor, wiewohl er gegenüber
der Schönen sitzt, sein schwarzes Augenpaar
so selten aufzuheben,
als möglich war.

Die Dame schien vom bloßen Duft zu leben
nach Götterart.
Zusehens ward
ihr Ansehn trüber,
die Rosenwange blaß,
das Auge naß,
und unterm leicht gewebten Flor
schlug sichtbarlich ihr Herz hervor.

Herr Gawin - aß
und merkte nichts. Nach einer Weile
verändert sie
die Batterie,
wird lebhaft, reizeind - kurz, verbraucht
auf einmal alle Pfeile,
die Amors Hinterlist
in Nektar taucht.

"Und Gawin?" - Gut! der ißt
und trinkt für zwei,
läßt sich's recht wohl behagen,
vergißt
jedoch das Hauptwerk nicht dabei;
denn kaum
dass man den Nachtisch aufgetragen,
so stimmt er schon sein altes Liedchen an:
Wo bleibt mein Zaum?

Mit unverhaltnem Schmerz
fährt jene wild heraus:
"Grausamer Mann,
was hab' ich dir getan?

Du siehst so fromm und bieder aus
und hast ein Herz
das - meinen Tod verlangen kann?"

Wie, Euren Tod?
Ihr sprecht im Traum'!
Ich will ja nichts, bei Gott!
als meinen Zaum!

"Ihr wißt, versetzt sie, wie ich sehe,
nicht, was Ihr wollt. - Wohlan,
so hört mich an!
Ich bin die Fee
von diesem Schloß',
und meine Macht ist groß.
Ringsum sind all die schönen Hügel
und Auen mein; und geht
noch etwas ab,
so schafft's mein Zauberstab.
Jung bin ich, wie ihr seht,
und, wenn mein Spiegel
mich nicht belügt,
nicht ohne Grund mit meiner
Gestalt vergnügt:
kurz, Herr, ich weiche Keiner
in Allem, was ein Mann
bei einem Weibe wünschen kann;

und eine Gabe,
die ich voraus vor Andern habe,
ist diese: wie ich bin,
so werd' ich immer sein.
Und doch - so will's des Schicksals Eigensinn -
ist, wenn Ihr drauf besteht, nichts mein
von Allem, was ich bin,
kurz, (setzte sie hinzu, mit einem Blick,
der einen Stein
zu rühren fähig war) mein Glück,
mein Leben selbst steht nun bei Euch allein."

Erklärt mir dieses Rätsel, (spricht
der Ritter) ich versteh' Euch nicht.

"So hört. Mein Vater, ein Druid'
und großer Zaubrer, als er schied,
ließ keinen Erben hinter sich,
als meine Schwerter nur
und mich.
Das Schwesterchen war schön
geboren; aber - ich -
Herr, die Natur
empöret sich
so etwas zu gestehn -
Erratets's selbst! - Der Alte, mich
nach Möglichkeit zu trösten, gab
mir dieses Schloß mit allen seinen Schätzen
und seinen Zauberstab;

vermeinte jenen Mangel mir
dadurch gar reichlich zu ersetzen:
hingegen ihr
vermacht' er nichts von aller seiner Habe
als nur das Feentier,
das Euch hierher gebracht und seinen Zaum'.
Allein an diesem Zaum
hängt eine Gabe
von größerm Wert, als eine ganze Welt.
Der Zaum erhält,
die ihn besitzt, bei ewig schöner Jugend,
und ist sie nicht schon wohlgestalt,
so macht er sie dazu.
Und nun, ermesset selbst - in einem Nu
ist's kalkuliert, Herr Ritter - ew'ge Jugend
und ew'ger Reiz! - Was ist die Allgewalt
des Zauberstabs, verglichen mit der Tugend
des Wunderzaumes? - Was nützt
mit sonder ihn
dies Schloß und alles Gold, wovon es blitzt?
Die Folgerung, mein Herr, ist leicht zu ziehn.
Ich war so klug
und tat - was alle Weiber täten
an meinem Platz.
Die Jungfer Schwester ist für sich schon hübsch genug,
sie hat des Zaumes nicht vonnöten:
und, fordert sie Ersatz,
hier ist mein ganzer Schatz!

Ich will ihr Alles geben,
den Zaum nur lass' sie mir;
wer den mir nimmt, nimmt mir das Leben!
Und Ihr, Herr Ritter, könntet Ihr
Euch selber solchen Mord vergeben?
O, lieber bleibet hier
Ihr habt der Abenteuer
genug bestanden - bleibet hier
und teilt des Zaumes Frucht mit mir;
was ich besitz' und bin - ist Euer!"

Herr Gawin küßt der Dame dankbarlich
die Hand und spricht: auf welche Seite
die Billigkeit sich neig' in diesem Schwesternstreite,
das ist ein Punkt, womit ich mich
nicht gern befasse;
ich lasse
die Frag' in Status quo;
und, habt Ihr Unrecht nach der Schärfe,
so werfe
die Frau, die um den Zaum nicht eben so
zu freveln fähig wäre,
den ersten Stein auf Euch!
Allein dies Alles gilt mir gleich:
der große Punkt ist - Gawins Ehre
steht auf dem Spiel!

Den Zaum zu holen,
ward mir befohlen.
Ich gab mein Wort: das ist so viel,
als hätt' ich tausend Leben
zum Pfand gegeben.
Des Zaumes wegen kam ich an,
und was ich tat, ward um den Zaum getan.
Ist Jemand, der ihn mir an Eurer Stelle
noch streitig machen will,
Ries' oder Krokodil
und Teufel aus der Hölle,
so komm' er her! - Wo nicht,
so küss' ich Eures Rockes Saum
und - fordre meinen Zaum.

Die Dame ruft mit glühendem Gesicht'
und einem lauten Schrei:
So bringt ihm seinen Zaum herbei!

Ab geht der Zwerg. - Die Dame wendet sich
und weinet bitterlich.

Der Zwerg kommt wieder,
beladen mit der goldnen Last,
und wirft sie vor dem Ritter nieder.
Der faßt
mit beiden Händen stracks die wohlverdiente Beute,

kehrt drauf sich nach der Frau - allein
die hatte sich indessen auf die Seite
gemacht. Von ihm gesehn zu sein,
wär' ärger jetzt als Todespein;
denn, ach, verschwunden ist bereits,
fataler Zaum, mit dir - ihr ganzer Reiz!

Mein Ritter, ohn' ein Wort zu sagen,
eilt nach dem Stalle, zäumt sein Tier,
(das, närrisch schier
vor Freude, seinen Schmuck zu tragen,
bis an die Decke springt)
und schwingt
sich auf und fliegt mit seinem Zaum
so gleich davon, dass auf der grünen Erden
von seinem Tritt des Grases Spitzen kaum
gebogen werden.

Der Dame wird nach ihres Zaums Verlust
die weite Welt zum dumpfen Kerker;
sie rauft ihr Haar, zerkratzt sich Wang' und Brust,
läuft hin und her, kommt endlich in den Erker
und sieht,
entsetzliches Gesicht!
den Mann, der ihren Reiz entführt,
sieht, wie er flieht -
erträgt den Anblick nicht!

Das arme Weib verliert
vor Wut und Schmerz
die Sinne ganz, und - was sie tat,
nachdem's der Reim euch schon verraten hat,
verdrießt mich euch zu sagen;
denn, macht nicht, ohne was zu wagen,
der Dümmste stracks ein witziges Gesicht
und wettert, was man will, es folge nun: und sticht
sich einen Dolch ins Herz.

Herr Gawin auf dem Rückweg fand
nichts bis nach Artus Hof, als schönes ebnes Land.
Von Fluß und Brücke, Schlangental
und Löwenwald kein Wort!
Die waren allzumal
verschwunden!
Kurz, ruhig trabt er fort
und langt in wenigen Stunden
zu Cardigan
bei seinem Liebchen an.

Die hatte kaum aus seiner tapfern Hand,
im Angesicht
des Hofs, der rings um beide stand,
den Zaum empfangen,
so glänzt' um ihre Wangen
ein neues Licht.

Sie war vorher schon hübsch zu nennen,
doch jetzt vor lauter Schönheit kaum
noch zu erkennen.
Die Damen und Ritter sahn
sie neidisch - ihn mit Mißgunst an.
Allein Herr Gawin lacht.
Komm, Liebchen, spricht er, lass' uns wandern;
nimmt flugs mit einer Hand den Zaum,
das Mädchen mit der andern,
und gute Nacht!
Text: Christoph Martin Wieland - Lizenz: Public Domain