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Guten Willens Ungeschick

Weil krank ich sei und sehr bewegt,
Mein hell und blühend Lustrevier
Hast du mit Dornen mir umhegt;
Wohl weiß ich, daß der Wille rein,
Daß eure Sorge immer wach,
Doch, was ihn labt, was hindert, ach,
Ein jeder weiß es nur allein.

Ich denke, wie ich einstens saß
An eines Hügels schroffem Rain,
Und sah ein schönes Kind, das las
Sich Schneckenhäuschen im Gestein;
Dann glitt es aus, ich sprang hinzu,
Es hatte sich am Strauch getrückt;
Ich griff es an gar ungeschickt,
Und abwärts rollte es im Nu;

Auf hob ich es, das weinend lag
Und grimmig weinend um sich fuhr,
Und freilich, was es stieß vom Hag,
Mein schlimmes Helfen war es nur. -
Und an der Klippe stand ich auch,
Bei Vogelbrut und Flaumenhaar,
Und drüber pfiff wie ein Korsar
Ein Weihe hoch im Nebelrauch.

Nun blitzte wie ein Strahl heran
Und immer näher schoß der Weih,
Ich schwang das Tuch, den Mantel dann,
Die jungen Vögel duckten scheu:
Und aufwärts funkelnd, angstgepreßt,
Wie Marder pfiffen sie so klar;
Da ward mir endlich offenbar,
Dies sei des Weihen eignes Nest.

So hab' ich hundertmal gefühlt,
Und tausendmal hab' ich gesehn,
Daß nichts so hart am Herzen wühlt,
Wo seine tiefsten Adern gehn,
Als - zürne nicht, die Lippen drück'
Ich sühnend auf der Lippen Rand -
Als eine liebe rasche Hand
In guten Willens Ungeschick.
Text: Annette von Droste-Hülshoff - Lizenz: Public Domain