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Frühlingsrätsel

Der Lenz in Blumendiademen
Umfängt aufs neu die Winterwelt:
Er wird auch dir vom Herzen nehmen,
Was es dir winterlich noch schwellt.

Als ob ein neu Weltwerde riefe,
So drängt es aus der Erde Schoß,
So ringt's aus nächt'ger Grabestiefe
Selbstleuchtend noch ins Licht sich los.

Ein Schmettern rings, ein Blühn, ein Kosen,
Und jedes Weh und Welken ruht,
Die Nachtigal versteckt von Rosen,
Verströmt ihr tönend Herzensblut.

In Knospen, Halmen, Baumeskronen,
Lockt es und fragt dich rechts und links,
Statt eines Rätsels gibt Millionen
Der Wald dir auf, die grüne Sphinx.

Sei du ihr Ödipus! In Blüten
Trink' in dich, was rings hallt und schallt:
Und wolle beides sorglich hüten, -
Die ganze Pracht, sie stirbt so bald!

Sie stirbt? Und bald? Tonmeer umfange,
Und Blumenmeer zieh mich hinab,
Das einz'ge, Lenz, was ich verlange,
In deinen Armen sei mein Grab!

Was gilt es mir, wie bald sich kund mir
Dann wieder tut des Eisens Gruß,
Küßt' nur dein Rätsel erst vom Mund dir
Ich frühlingssel'ger Ödipus!
Text: Udo Brachvogel - Lizenz: Public Domain